Schlupldoyer von Prof. Dr. Ulrich Sieber fr den Angeklagten Felix Somm

Im Internet herausgegeben von Patrick Mayer,
Informationen zu Artikel 5 Grundgesetz
P R O F. D R. U L R I C H S I E B E R
Ordinarius fr Strafrecht, Strafprozerecht, Informationsrecht und Rechtsinformatik an der
U N I V E R S I T T W R Z B U R G

Gliederung:


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Schlupldoyer

in der Strafsache gegen den Angeklagten Felix Somm

vor dem AG Mnchen Az. 8340 Ds 465 Js 173158/95
am 28. Mai 1998 in Mnchen

Der folgende Text beruht auf der schriftlich vorbereiteten Entwurfsfassung des mndlichen Pldoyers vom 28. Mai 1998. Die aufgrund des Pldoyers der Staatsanwaltschaft im mndlichen Pldoyer vorgenommenen Ergnzungen und nderungen wurden nachtrglich eingefgt.

Die Verteidigung beantragt, den Angeklagten Felix Somm freizusprechen und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse aufzuerlegen.

Die Verteidigung begrt den gleichlautenden Antrag der Staatsanwaltschaft vor allem im Interesse der Rehabilitation des Angeklagten, der in diesem Verfahren zum "Sndenbock" fr fehlende nationalstaatliche Lsungen im globalen Cyberspace gemacht wurde. Nach dem bisherigen Verfahrensgang und den Feststellungen der Hauptverhandlung ist diese Rehabilitation auch geboten: Im Anschlu an die einschlgigen Presseerklrungen der Staatsanwaltschaft und des Justizministeriums wurde der Angeklagte in der ffentlichkeit zweieinhalb Jahre lang als Anbieter von Kinderpornographie bezeichnet - noch in der vorletzten Woche berichtete ein Presseorgan ber den "Anbieter von Kinderpornographie vor Gericht". Welche Belastung dies fr den Angeklagten, seine Ehefrau und seine Eltern bedeutete, kann nur ermessen, wer mit ihm selbst oder seiner Familie darber gesprochen hat. Die bereinstimmenden Schluantrge von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sind deswegen als Grundlage eines freisprechenden Urteils besser als alle Ehrenerklrungen geeignet, einen Schlustrich unter diese Belastungen des Angeklagten zu ziehen, aber auch das Ansehen der bayerischen Justiz in diesem weltweit beachteten Verfahren wiederherzustellen. Die Verteidigung schtzt den gleichlautenden Antrag der Staatsanwaltschaft deswegen auch als einen Ausdruck der Fairne, der Unabhngigkeit und der Fachkunde der deutschen Justiz.

Die Verteidigung begrt den Antrag der Staatsanwaltschaft aber auch aus Grnden, die ber die Interessen des Angeklagten hinausgehen: In dem hier zu fllenden Urteil geht es nicht nur um die Rehabilitation eines unbescholtenen Brgers. Dieses Strafverfahren betrifft auch die Freiheit des grenzberschreitenden Datenverkehrs im Internet, das Unterlassen einer wirkungslosen Zensur sowie den Anschlu Deutschlands an die internationale Datenautobahn. Vor allem aber geht es auch um den Schutz unserer Kinder: Sie haben es verdient, da auf die komplexen Herausforderungen von Kinderpornographie in globalen Datennetzen endlich mit wirksamen Manahmen reagiert wird und nicht lnger mit unsinnigen Alibilsungen, wie sie der Anklage gegen Herrn Somm zugrunde liegen.

Aus diesen Grnden reicht es in dem vorliegenden Verfahren nicht aus, nur die Unschuld des Angeklagten festzustellen. Vielmehr wird neben dem Tenor des Urteils auch dessen Begrndung entscheidend sein: um Herrn Somm zu rehabilitieren, um eine Wiederholung hnlicher Anklagen zu verhindern, um Rechtssicherheit fr Zukunftsinvestitionen zu schaffen und um strafbare Inhalte in Computernetzen wirksam zu bekmpfen.

Deswegen sind nach dem Pldoyer der Staatsanwaltschaft noch Ausfhrungen der Verteidigung erforderlich; zunchst zu den Ergebnissen dieses Verfahrens (I), dann zu den Grnden der Unschuld von Herrn Somm (II) und schlielich zu den Konsequenzen des zu fllenden Urteils fr eine wirksame Bekmpfung der Kinderpornographie (III).

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I. Ablauf und Ergebnisse des Verfahrens

1. Ablauf des Ermittlungsverfahrens

Der Ablauf des Ermittlungsverfahrens gegen Herrn Somm lt sich dabei auf einen knappen Nenner bringen: Das Verfahren begann unglcklich und lief dann - vielleicht, weil es in den Strudel der Politik kam - zweieinhalb Jahre lang schief:

Nachdem die von dem Angeklagten vertretene Firma CompuServe GmbH zunchst mit den Ermittlungsbehrden gut zusammenarbeitete, wurde diese Kooperation von den Strafverfolgungsorganen im Anschlu an eine ergebnislose Durchsuchungsaktion im November 1995 pltzlich beendet; die Grnde fr diesen Richtungswechsel konnten bei der Befragung der zustndigen Polizeibeamten nicht aufgeklrt werden. Das Angebot von Herrn Rechtsanwalt Dr. Moritz, dem wirtschaftsrechtlichen Berater der Firma CompuServe GmbH, zu einer gemeinsamen Lsung der komplexen Probleme am "runden Tisch" blieb unbeantwortet. Die Ermittlungsbehrden teilten die - in Computernetzen neben positiven Inhalten leider auch festzustellenden - strafbaren Inhalte der Firma CompuServe GmbH in der Folgezeit nicht mehr mit, so da diese die strafbaren Inhalte nicht mehr an die amerikanische Muttergesellschaft CompuServe Inc. mit der Bitte um Lschung weitergeben konnte. Die festgestellten strafbaren Inhalten wurden vielmehr geheimgehalten und fast ein Jahr lang gesammelt. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft erteilte den Auftrag, ber den Netzknoten der Firma CompuServe GmbH und die Newsserver der Firma CompuServe Inc. regelmig und gezielt nach strafbaren Inhalten zu suchen. Kenner des Internet verwundert es nicht, da die fnfkpfige Spezialgruppe der bayerischen Polizei, untersttzt vom Bayerischen Landeskriminalamt, hierbei fndig wurde: Entsprechende Ergebnisse htten auch ber jeden anderen Netzknoten abgerufen werden knnen. Die Resultate dieser fast einjhrigen Recherche wurden in einer schlecht gefhrten Strafverfahrensakte (z.B. mit fehlenden Aktenseiten) zu einer eindrucksvollen Sammlung von Widerwrtigkeiten zusammengebunden und zum Gegenstand der Anklageschrift gegen Herrn Somm gemacht.

All dies zeigt: Die Vorwrfe gegen Herrn Somm waren von Anfang an unberechtigt und htten bei einer sorgfltigen Prfung auch vermieden werden knnen. Eine entsprechende Rehabilitation von Herrn Somm durch ein klares freisprechendes Urteil ist daher geboten! Mehr soll mit dieser Darstellung des Verfahrensganges hier nicht bezweckt werden.
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2. Ergebnis der Hauptverhandlung

Die Darstellung des Verfahrens und seiner Ergebnisse soll nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Freispruch hier insbesondere nicht zu einer pauschalen Kritik der Ermittlungsbehrden und der Staatsanwaltschaft fhren: Das - leider unbercksichtigte - Gutachten des Landeskriminalamts war fair und fr den Angeklagten entlastend. Vor allem aber lernten Herr Somm und die Verteidigung mit dem heute hier anwesenden Vertreter der Staatsanwaltschaft die Justiz von einer anderen Seite kennen als im Vorverfahren: Der heutige Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft hat die Anklage zwar mit Schrfe und Geschick vertreten (ich arbeite seit ber 20 Jahren auf dem Gebiet der Computerkriminalitt und kann ihm hier das Kompliment machen, da er jede denkbare Mglichkeit fr eine Verfolgung von Herrn Somm in der Hauptverhandlung erkannt und mit groem Geschick verfolgt hat). Mit Herrn von Hunoltstein traf die Verteidigung in diesem Verfahren jedoch erstmals auf einen Vertreter der Staatsanwaltschaft, der sich erfolgreich in die komplexe Materie internationaler Computernetze einarbeitete. Er hat die zentrale Feststellung des Sachverstndigen Dr. Fuhrberg deswegen in der Hauptverhandlung frhzeitig erkannt und hieraus auch die Konsequenzen gezogen: Da Herr Somm den Abruf der in der Anklage genannten Inhalte nicht verhindern konnte, hat die Staatsanwaltschaft zutreffend einen Freispruch beantragt.

Dieser Antrag der Staatsanwaltschaft auf Freispruch besttigt nicht nur die technischen Ergebnisse des von mir im vergangenen Jahr in der vorliegenden Strafsache erstellten Gutachtens. Er dient auch nicht nur der Rehabilitation von Herrn Somm und der von ihm vertretenen Firma. Ich freue mich ber diese raschen Konsequenzen aus dem Gutachten des Sachverstndigen Dr. Fuhrberg vor allem auch im Interesse der bayerischen Justiz: Denn das vorliegenden Verfahren hat der bayerischen Justiz in der Presse - vor allem im Ausland - beachtlichen Schaden zugefgt. Amerikanische Kollegen fragten mich hmisch: Habt ihr in Deutschland eine neue Filtermaschine fr Pornographie erfunden, von der wir in Amerika noch nichts gehrt haben Und mein Werben fr den High-Tech-Standort Bayern und die durch das neue Teledienstegesetz garantierte Rechtssicherheit fr Provider wurde von auslndischen Kollegen mit dem spttischen Hinweis abgetan, da diese Rechtssicherheit angesichts der fortdauernden Ermittlungen gegen Herrn Somm wohl das Papier des Gesetzes nicht wert seien, auf dem das Gesetz geschrieben wurde. Im englischen Fernsehen warb man mit diesem bayerischen Strafverfahren erfolgreich fr den Industriestandort des Vereinigten Knigreichs und man belchelte mitleidig die Absicht der Deutschen, ihr Land von strafbaren Inhalten im Internet abzuschotten.

Die Staatsanwaltschaft hat deswegen in den letzten Wochen viel dazu beigetragen, diesen Schaden zu begrenzen. Wenn nunmehr auch das Gericht in seinem Urteil klare Worte findet, so kann die Anklage gegen Herrn Somm als ein "Betriebsunfall" in die Geschichte des Computerstrafrechts eingehen. Dies setzt allerdings deutliche Worte des Gerichts zur Unschuld von Herrn Somm voraus. Aus diesem Grunde beschftigen sich die folgenden Ausfhrungen mit den Grnden, die zum Freispruch von Herrn Somm fhren mssen.

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II. Die Grnde fr den Freispruch

Der Angeklagte ist in dem vorliegenden Fall nicht nur deswegen unschuldig, weil es ihm - insbesondere in dem vom Sachverstndigen untersuchten X25-Netz der Jahre 1995/96 - technisch unmglich und unzumutbar war, den Zugriff auf die in der Anklageschrift bezeichneten Inhalte zu sperren. Um den Angeklagten zu rehabilitieren, um die Wiederholung eines "Falles Felix Somm" zu vermeiden, um der Informationsindustrie Rechtssicherheit zu geben und um Pornographie wirksam zu bekmpfen, ist der Angeklagte vielmehr aus mindestens drei - unabhngig voneinander bestehenden - Grnden freizusprechen: Erstens und vor allem, weil er insbesondere gem. 5 Abs. 3 TDG fr die in der Anklage vermittelten Inhalte nicht verantwortlich ist. Zweitens, weil ihm eine Filterung der in der Anklageschrift genannten Inhalte technisch unmglich und unzumutbar war. Und drittens, weil er aufgrund der fehlenden Bekanntgabe dieser Inhalte durch die Ermittlungsbehrden keinen Anla zu irgendwelchen weitergehenden Kontroll- und Sperrmanahmen hatte. Auf diese drei Grnde ist im folgenden kurz einzugehen:

1. Freispruch aufgrund der fehlenden rechtlichen Verantwortlichkeit des Access-Providers CompuServe GmbH

a) Die fehlende strafrechtliche Verantwortlichkeit von Herrn Somm fr die in der Anklage genannten Inhalte ergibt sich zunchst eindeutig aus Art. 5 Abs. 3 des Teledienstegesetzes, der aufgrund seines klaren Wortlautes Herrn Somm nach Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes Straflosigkeit garantiert. Zitat des Gesetzestextes: "Diensteanbieter sind fr fremde Inhalte, zu denen sie lediglich den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich." Die Vernehmung der Polizeibeamten in der Hauptverhandlung hat eindeutig ergeben, da die von dem Angeklagten geleitete CompuServe GmbH lediglich den Zugang zu fremden Inhalten vermittelte und keine eigenen Server betrieb.

Entgegen der Staatsanwaltschaft liegt hier kein Fall des 5 Abs. 2 TDG vor, nach dem Service-Provider im Falle ihrer positiven Kenntnis zu technisch mglichen und zumutbaren Manahmen verpflichtet sind. 5 Abs. 2 TDG setzt voraus, da Anbieter fremde Inhalte "zur Nutzung bereithalten". Dieses Bereithalten zur Nutzung erfordert grundstzlich. eine Speicherung der Inhalte auf eigenen Servern. Wenn man den Tatbestand extensiv auslegen will, so knnte man fr das "zur Nutzung Bereithalten" im Sinne von 5 Abs. 2 TDG rechtlich vielleicht auch noch eine sonstige - der Speicherung auf eigenen Servern vergleichbare - Herrschaftsmacht ber die Inhalte gengen lassen; auch diese liegt hier nicht vor.

Diese Abgrenzung von 5 Abs. 2 TDG und 5 Abs. 3 TDG anhand der Kriterien der Speicherung oder der vergleichbaren Herrschaftsmacht folgt nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, sondern vor allem aus ihrer ratio: Der Grund fr die unterschiedliche Behandlung des Access- und des Service-Providers in 5 TDG liegt - wie ein von mir im letzten Jahr in der Zeitschrift "Computer und Recht" verffentlichter Aufsatz zeigt (CR 1997, 581 ff., 653 ff.) - in der folgenden berlegung des Gesetzgebers: Ein Access- oder Network-Provider, der Daten in Sekundenbruchteilen nur durchleitet, kann die bermittelten Daten nicht kontrollieren, weil dies - vor allem in der erforderlichen Echtzeit - technisch unmglich ist, das Fernmeldegeheimnis verletzen wrde und auf eine Totalberwachung des Datenverkehrs hinauslaufen wrde, die nicht einmal die chinesische Regierung erreicht. Ein Service-Provider, der die fremden Daten auf eigenen Computern speichert, kann diese dagegen problemlos lschen, wenn er positive Kenntnis von den konkreten rechtswidrigen Inhalten erhlt. Die Gesetzgebungsmaterialien zum TDG stellen deswegen zutreffend fest, da eine Datenlschung in den Fllen des 5 Abs. 2 fr den Service-Provider in aller Regel mglich und zumutbar ist. Der Grund fr die bedingte Verantwortlichkeit des Service-Providers, die ber die Verantwortlichkeit des Access-Providers hinausgeht, liegt damit in seinen Einwirkungsmglichkeiten und seiner Herrschaft ber die auf eigenen Computern gespeicherten Daten. Diese Voraussetzung war bei der deutschen CompuServe GmbH jedoch gerade nicht gegeben: Sie leitete die Daten - in Sekundenbruchteilen - nur ber ihren Netzknoten durch. Die Vernehmung des Sachverstndigen Dr. Fuhrberg hat belegt, da die CompuServe GmbH die bermittelten Daten gerade nicht kontrollieren konnte und keine Herrschaftsmacht ber sie hatte - weder aufgrund der Speicherung der Daten auf eigenen Computern noch aufgrund sonstiger Gesichtspunkte, die vor der ratio von 5 Abs. 2 TDG Bestand haben knnten.

Sieht man diese ratio von 5 TDG, so wird deutlich, da die von der Staatsanwaltschaft ins Feld gefhrten Gesichtspunkte fr eine Anwendbarkeit von 5 Abs. 2 TDG fr die vorliegende Fragestellung vllig irrelevant sind. Genannt wurde in dem Pldoyer der Staatsanwaltschaft unter dem Oberbegriff der "wirtschaftlichen Verflechtung zwischen der Firma CompuServe GmbH und der Firma CompuServe Inc." zunchst die - auch im Firmennamen dokumentierte - Tatsache, da die CompuServe GmbH eine 100prozentige Tochter der CompuServe Inc. war. Angefhrt wurden sodann die weiteren Gesichtspunkte, da die CompuServe GmbH den Zugang zum Internet und zu den Foren technisch ber die Rechner der CompuServe Inc. leitete, sowie da das Inkasso bei den Mitgliedern durch die CompuServe Inc. erfolgte und durch die CompuServe GmbH untersttzt wurde. Diese Tatsachen sind zwar sachlich richtig. Da sich aus ihnen jedoch weder eine Speicherung der Daten durch die CompuServe GmbH noch eine entsprechende Sachherrschaft der Gesellschaft ergibt, sind diese von der Staatsanwaltschaft geltend gemachten Unterschiede zwischen der CompuServe GmbH und anderen Access-Providern im Hinblick auf den Wortlaut und die ratio von 5 TDG ohne Bedeutung. Sie sind fr die vorliegende Fragestellung genauso irrelevant wie die Tatsache, da Herr Somm blaue Blazer liebt, whrend die Geschftsfhrer der anderen deutschen Access-Provider vielleicht hufig karierte Jacken tragen. Eine nhere Analyse der von der Staatsanwaltschaft genannten Gesichtspunkte macht dies offensichtlich:

Diese Abgrenzung von 5 Abs. 2 und 3 TDG wird besttigt, wenn man die Gesetzesmaterialien zu 5 TDG bzw. 5 Mediendienste-Staatsvertrag untersucht: Man stt dann nicht nur auf die Annahme des Gesetzgebers, da 5 Abs. 2 TDG eine Datenspeicherung und eine Herrschaftsmacht ber die Daten voraussetzt. Man findet sogar den Fall einer auslndischen Gesellschaft diskutiert, die ihre Daten im Zusammenwirken mit deutschen Access-Providern anbietet. Die Gesetzesmaterialien wollen die Garantie des 5 Abs. 3 TDG in diesem Fall durchbrechen, wenn - wrtliches Zitat - "ein bekannter in Deutschland wohnender Extremist als Zugangsprovider in bewutem und gewolltem Zusammenwirken mit Extremisten im Ausland ausschlielich den Zugang zu deren extremistischen Inhalte anbietet, deren Verbreitung in Deutschland mglicherweise strafbar ist." Mit dieser Fallkonstellation hat das vorliegende Strafverfahren jedoch nichts zu tun. Ich verweise insoweit auf die Einlassung, in der ich zu Beginn des Hauptverfahrens mit ausfhrlicher Begrndung eine Beihilfe oder Mittterschaft von Herrn Somm zu mglichen Straftaten von Mitarbeitern der CompuServe Inc. abgelehnt habe; Sachverhaltsfeststellungen fr eine derartige Konstruktion wurden vom Gericht in der vorliegenden Hauptverhandlung nicht nher untersucht.

Auch der von der Staatsanwaltschaft angefhrte Umgehungsgesichtspunkt geht fehl: Die Staatsanwaltschaft hat vorgebracht, da bei einer Anwendbarkeit von 5 Abs. 3 TDG die Anbieter strafbarer Daten ihre Server ins Ausland verlegen und den Zugang zu ihnen straflos ber Access-Provider in der Form von Tochtergesellschaften betreiben knnten. Diese Umgehungsmglichkeit hat ihre Ursache jedoch nicht in der Anwendbarkeit von 5 Abs. 3 TDG auf die Access betreibende Tochtergesellschaft, sondern in den allgemein fehlenden Kontrollmglichkeiten aller Access-Provider im Internet. Dies wird deutlich, wenn man die Konsequenzen aus der Umgehungslsung der Staatsanwaltschaft genauer betrachtet: Denn bei der Konstruktion der Staatsanwaltschaft knnte der Anbieter strafbarer Inhalte seine Server gleichermaen ins Ausland verlagern und den Zugriff ber unabhngige Access-Provider vermitteln, die aufgrund der dann eindeutigen Anwendbarkeit von 5 Abs. 3 TDG nicht verantwortlich gemacht werden knnten. Fr die Bekmpfung strafbarer Inhalte entstnde dann sogar eine sehr viel schlechtere Situation: Bei der Zugangsvermittlung durch unabhngige Access-Provider bestnden nicht einmal mehr die informellen Einflumglichkeiten zwischen Tochter- und Muttergesellschaft, die im vorliegenden Fall dazu fhrten, da die CompuServe Inc. aufgrund der Bitte von Herrn Somm die fnf kinderpornographischen Newsgroups sowie die Newsgroups auf der 282er Liste der Polizei sperrte. Dies bedeutet: Ob der Zugang ins Ausland durch Tochtergesellschaften oder durch unabhngige Access- und Network-Provider vermittelt wird, spielt keine Rolle. Aufgrund der globalen Vernetzung sowie der fehlenden Kontrollmglichkeiten im internationalen grenzberschreitenden Datenverkehr lt sich der Zugriff auf die im Ausland gespeicherten Inhalte heute ganz allgemein nicht mehr verhindern.

b) Im brigen wre mit der Anwendbarkeit von 5 Abs. 2 TDG die Verantwortlichkeit des Angeklagten noch nicht begrndet. 5 TDG ist lediglich ein zustzlicher Filter, der ber die allgemeinen Verantwortlichkeitsnormen hinausgehend erfllt sein mu. Fr die Prfung dieser allgemeinen Verantwortlichkeitsvoraussetzungen ist dabei entscheidend, da in der Hauptverhandlung keine einzige positive Handlung des Angeklagten deutlich wurde, mit der dieser eine Verbreitung strafbarer Inhalte in vorwerfbarer Weise frderte. Ein eventueller "Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit" - so das Abgrenzungskriterium der Rechtsprechung zu Tun und Unterlassen - liegt im vorliegenden Fall allenfalls im Bereich des Unterlassens. Da dem Angeklagten damit nur ein Unterlassen von Kontrollmanahmen bzw. - so die letzten Diskussionen in der Hauptverhandlung - der unterlassene Aufbau eines Parallelrechenzentrums mit einer Firewall und eigenen Kontrollsystemen - vorgeworfen werden knnte, wrde eine strafrechtliche Verurteilung des Angeklagten eine entsprechende Garantenpflicht erfordern, die im vorliegenden Fall jedoch nicht besteht. Die ganz herrschende Ansicht - auch die von der Bayerischen Staatsregierung herausgegebene Broschre "Verantwortung im Internet" - lehnt eine derartige Garantenpflicht bei der bloen Zugangsvermittlung ab. Dies gilt aufgrund der Aussage des Sachverstndigen Dr. Fuhrberg gerade auch fr den vorliegenden Fall: Da die Firma CompuServe GmbH und der Angeklagte die Inhalte auf den Servern der amerikanischen CompuServe Inc. nicht beherrschten, scheitert die allein in Betracht kommende Garantenpflicht aus Sachherrschaft an der fehlenden Herrschaft ber die Gefahrenquelle. Die fehlende Beherrschung und Kontrolle der in der Anklageschrift genannten Inhalte durch den Angeklagten fhrt deswegen im vorliegenden Fall nicht nur - nach rckwirkend geltendem neuem Recht - zur Unanwendbarkeit von 5 Abs. 2 TDG, sondern auch - nach allgemeinen strafrechtlichen Grundstzen - zur Ablehnung einer Garantenpflicht der CompuServe GmbH, die gem. 14 StGB auf Herrn Somm berwlzt werden knnte. Diese identischen Ergebnisse zu 5 TDG und zur strafrechtlichen Garantenpflicht besttigen hier die vorgenommenen Wertungen.

Eine mgliche Garantenpflicht der amerikanischen CompuServe Inc. knnte dagegen nicht auf den angeklagten Geschftsfhrer des deutschen Tochterunternehmens CompuServe GmbH berwlzt werden. Dies folgt nicht nur aus dem klaren Wortlaut von 14 StGB und Art. 103 Abs. 2 GG. Fr 14 StGB gelten auch die gleichen Wertungsgesichtspunkte wie fr 5 Abs. 2 TDG und die strafrechtliche Garantenpflicht. Dies heit: Die Muttergesellschaft kann mglicherweise fr das Verhalten einer von ihr beherrschten Tochtergesellschaft zur Rechnung gezogen werden, niemals aber ist die Tochtergesellschaft fr das Verhalten der sie beherrschenden Muttergesellschaft verantwortlich. 14 StGB verlangt von dem Geschftsfhrer einer Tochtergesellschaft keine Manahmen, die er rechtlich gar nicht erfllen kann.

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2. Technische Unmglichkeit und Unzumutbarkeit von Kontrollmanahmen

Die fehlende Beherrschung der in der Anklage genannten Daten durch die CompuServe GmbH und durch Herrn Somm schliet darber hinaus die Tatbestandsmerkmale der "Mglichkeit und Zumutbarkeit" von Verhinderungsmanahmen aus, die bei jedem Unterlassungsdelikt nach der allgemeinen strafrechtlichen Dogmatik erfllt sein mssen und nach der Lsung der Staatsanwaltschaft von 5 Abs. 2 TDG besonders und mit verschrften Anforderungen an den Vorsatz (Kenntnis in der Form des dolus directus) gefordert sind. Damit ist der zweite Grund fr die Unschuld von Herrn Somm angesprochen: Das Strafrecht kann von dem Angeklagten nichts verlangen, was technisch unmglich, unzumutbar oder unsinnig ist.

Im Hinblick auf die Rehabilitation von Herrn Somm und zuknftige Verfahren sind dabei allerdings die verschiedenen Grnde wichtig, die eine Filterung der Inhalte durch die CompuServe GmbH "unmglich und unzumutbar" machten:

Der erste - durch das Gericht und die Staatsanwaltschaft bei der Befragung des Sachverstndigen Dr. Fuhrberg zutreffend herausgearbeitete - Grund fr die technische Unmglichkeit von Kontrollmanahmen des Angeklagten liegt in dem alten X.25-Netz der Firmen CompuServe GmbH und CompuServe Inc. Der Sachverstndige Dr. Fuhrberg hat auf der Grundlage des technischen Papiers der Verteidigung besttigt, da die transportierten Datenpakete in dem X.25-Netz berhaupt nicht filterbar waren und der Aufbau eines neuen TCP/IP-Netzes mit einem Parallelrechenzentrum und verbesserten Filtermglichkeiten zum Zeitpunkt des Anklagevorwurfs technisch gar nicht mglich gewesen wre. Hinzu kommt, da die CompuServe GmbH das X25-Netz sowie die - ebenfalls abzundernde - Zugangssoftware der Mitglieder auch nicht ohne Mitwirkung der CompuServe Inc. verndern konnte. Diese Gesichtspunkte mssen in dem vorliegenden Fall eindeutig zum Freispruch von Herrn Somm fhren!

Mit Blick auf zuknftige Verfahren und eine wirksame Verfolgung von strafbaren Inhalten in Computernetzen sind diese berlegungen allerdings nicht ausreichend: Soll der Freispruch von Herrn Somm wirklich nur darauf beruhen, da die CompuServe GmbH zum Tatzeitpunkt mit einem - heute teilweise berholten - X.25-Netz arbeitete Ist fr den Freispruch von Herrn Somm tatschlich entscheidend, da die von der Staatsanwaltschaft in der Beweisaufnahme geprfte Installation eines deutschen Parallelrechenzentrums technisch nicht mglich und finanziell nicht bezahlbar war Was wre gewesen, wenn die CompuServe GmbH in einem modernen TCP/IP-Netz ein derartiges Parallelrechenzentrum mit einem Newsserver htte aufbauen knnen Aufgrund der Vernehmung des Sachverstndigen Dr. Fuhrberg knnen wir diese Fragen heute ebenfalls beantworten. Die Antwort ist dabei eindeutig: An dem rechtlichen Ergebnis der "Unzumutbarkeit" von Kontrollmanahmen htte sich nichts gendert, weil der Aufbau eines derartigen Parallelrechenzentrums - selbst wenn es mit begrenzten Mitteln htte erstellt werden knnen - sinnlos und unntz gewesen wre: Denn das bayerische News-Rechenzentrum htte einen Zugriff auf die strafbaren Inhalte ebensowenig verhindern knnen, wie die chinesische Regierung die Datenzugriffe ihrer Bevlkerung kontrollieren kann: Die Kontrollversuche wren vllig nutzlos gewesen. Der Sachverstndige Dr. Fuhrberg hat dazu besttigt, da beim Aufbau eines Parallelrechenzentrums der CompuServe GmbH die in der Anklage genannten Inhalte problemlos weiterhin ber andere Echtzeitdienste des Internet - z.B. ber WWW-Server - htte erreicht werden knnen. Dies heit: Eine Kontrolle des grenzberschreitenden Datenverkehrs ist technisch einfach nicht mglich und - zur Vermeidung einer Totalberwachung des grenzberschreitenden Datenverkehrs - auch nicht wnschenswert. In meiner einleitenden Stellungnahme fr Herrn Somm habe ich den Versuch einer grenzberschreitenden Kontrolle des Datenverkehrs deswegen auch mit dem Versuch verglichen, den Ozean mit der Hand auszuschpfen.

Die Sinnlosigkeit derartiger Kontrollmanahmen wre noch deutlicher geworden, wenn das Gericht den von der Verteidigung benannten Sachverstndigen Prof. Dr. Pfitzmann vernommen htte. Prof. Dr. Pfitzmann ist nicht nur in Deutschland, sondern weltweit einer der fhrenden Fachleute fr die Wirksamkeit derartiger Kontrollmanahmen - er beriet auf diesem Gebiet sowohl das Bundesforschungsministerium als auch internationale Gremien. Die Verteidigung hat es bis in die letzte Woche vermieden, ihn mit dem vorliegenden Verfahren vertraut zu machen, weil sie eine unbeeinflute, neutrale Heranziehung des Sachverstndigen und dessen ausschlieliche Information durch das Gericht wnschte. Nachdem das Gericht den Sachverstndigen Prof. Dr. Pfitzmann nicht zur Verhandlung geladen hatte und die Verteidigung deswegen zur Begrndung ihrer Beweisantrge das berlegene Fachwissen von Prof. Dr. Pfitzmann in den hier relevanten Fragestellungen darlegen mute, habe ich Herrn Prof. Dr. Pfitzmann in der vergangenen Woche angerufen. Ich habe ihn gefragt, ob er eine besondere Fachkunde habe, um nicht nur die Wirkung von Kontrollmanahmen, sondern auch die notwendigen Investitionen fr Filtermanahmen in einem X25-Netz und dessen Umbau in ein TCP/IP-Netz abzuschtzen. Seine Antwort war bezeichnend: Er sagte: "Dies ist eine falsche Fragestellung, die auf einen falschen Nebenkriegsschauplatz fhrt. Die Hhe dieser Investitionen ist im Hinblick auf ihre Zumutbarkeit gar nicht wesentlich. Denn diese Investitionen in ein Parallelrechenzentrum mit einem eigenen Newsserver wren fr eine Behinderung des Zugriffs auf strafbare Dateninhalte praktisch wirkungslos gewesen, egal wieviel Geld sie gekostet htten. Entscheidend ist, da die strafbaren Inhalte beim Aufbau eines Parallelrechenzentrums der deutschen CompuServe GmbH auf einfachste Weise mit anderen Echtzeitdiensten des Internet abrufbar gewesen wren, die nicht gefiltert werden knnen."

Diese Gesichtspunkte sind fr die rechtliche Beurteilung auch magebend: Alternative Zugriffsmglichkeiten auf andere Verkrperungen der strafbaren Inhalte sind zwar - wie die Staatsanwaltschaft zutreffend ausgefhrt hat - im Rahmen der hypothetischen Kausalitt von Kontrollmanahmen unbeachtlich, nicht jedoch fr die rechtliche Beurteilung der Zumutbarkeit. Hier gilt auch keine Ausnahme wie fr die Betreiber der Server, bei denen in bestimmten Fllen alternative Speichermglichkeiten unbercksichtigt bleiben. Diese Ausnahme fr die Betreiber der Rechner beruht darauf, da eine Beseitigung von strafbaren Inhalten in Computernetzen nur dann mglich ist, wenn diese Inhalte von allen Rechnerbetreibern gelscht werden. Im Interesse eines effektiven, aber auch realistischen Bekmpfungskonzeptes wird deswegen von allen Betreibern von Servern eine Datenlschung gefordert, auch wenn einzelne Betreiber dem rechtlichen Gebot nicht nachkommen. Fr die technische Vermittlung des Zugangs gibt es ein solches Konzept dagegen nicht: Eine grenzberschreitende Sperrung des Zugriffs auf auslndische Inhalte wre - wie der Sachverstndige Dr. Fuhrberg gezeigt hat - auch beim Zusammenwirken aller Access-Provider nicht mglich. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen: Wenn in Hamburg eine - durch den Kontakt zwischen Menschen bertragbare - Krankheit ausbricht, dann kann es Sinn machen, alle Transportwege zwischen Hamburg und Mnchen zu sperren; im Interesse einer allgemeinen Durchsetzung des Verbotes kann sich dabei auch der Betreiber einer kleinen Landstrae nicht auf die noch offenen Autobahnen berufen, die sinnvollerweise ebenfalls gesperrt werden mssen. Anders sieht es dagegen aus, wenn die in Hamburg ausgebreitete Krankheit auch durch die Luft bertragen wird: In diesem Fall wren aufwendige Straensperrungen zur Krankheitsbekmpfung sinnlos und damit unzumutbar. D.h.: Kontrollmanahmen sind unzumutbar, wenn sei keinerlei Resultat erbringen. Und genauso wre es im vorliegenden Fall gewesen.

Vor allem auch im Interesse einer wirksamen Bekmpfung strafbarer Inhalte in Computernetzen sollten wir uns deswegen endlich von der Vorstellung lsen, da der grenzberschreitende Datenverkehr gefiltert werden kann. Eine derartige Kontrolle erreicht nicht einmal die chinesische Regierung mit totalitren Methoden. Das der Anklageschrift zugrundeliegende "Filterkonzept" ist deswegen eine Totgeburt, die schleunigst aus unseren Kpfen verschwinden sollte, damit endlich mit wirksamen Manahmen zur Bekmpfung strafbarer Inhalte in Datennetzen begonnen wird. Oder anders ausgedrckt und auf das vorliegende Verfahren bezogen: Das Gericht sollte die - auf einer umfassenden technischen Analyse beruhende - Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers ber die Straflosigkeit der Zugangsvermittlung in 5 Abs. 3 TDG endlich anerkennen und auch im vorliegenden Fall anwenden, nachdem der Sachverstndige Dr. Fuhrberg die mageblichen Grundlagen dieser Entscheidung besttigt hat.

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3. Subjektiver Tatbestand

Herr Somm ist jedoch nicht nur erstens wegen seiner fehlenden rechtlichen Verantwortlichkeit und zweitens wegen seiner fehlenden Kontrollmglichkeiten freizusprechen, sondern drittens auch aufgrund seines fr eine Verurteilung fehlenden Vorsatzes: Denn Herr Somm hat alle ihm mglichen Manahmen zur Verhinderung eines Zugriffs auf strafbare Inhalte vorgenommen. Vor allem aufgrund der Informationspolitik der Ermittlungsbehrden hatte er keinen Anla, weitergehende Kontrollmglichkeiten in Erwgung zu ziehen. Dies gilt sowohl fr die Newsgroups (Anklagepunkte II.1) als auch fr die in der Anklageschrift genannten Spiele (Anklagepunkte II.2 und 3). Die Vernehmung der Polizeibeamten hat dies klar bewiesen:

Als die Ermittlungsbehrden Herrn Somm auf fnf Newsgroups mit kinderpornographischen Inhalten hinwiesen, bermittelte er diese Newsgroups an die amerikanische CompuServe Inc., die sie sperrte. Als die Polizei Herrn Somm spter auch noch eine Liste mit 282 Newsgroups bergab, die nach der klaren Aussage des Zeugen Mves lediglich die Reprsentanz von "Sex im Internet" beweisen sollte, veranlate Herr Somm ebenfalls sofort eine erfolgreiche Sperrung der problematischen Newsgroups. Die Newsgroups mit kinderpornographischen Inhalten blieben gesperrt und wurden von der amerikanischen CompuServe Inc. - zumindest willentlich - nicht wieder erffnet. Die Newsgroups mit einfachen Sexangeboten wurden dagegen erst wieder zugnglich gemacht, nachdem die Firmen CompuServe GmbH und CompuServe Inc. Millionenbetrge in Kinderschutzprogramme investiert hatten. Herrn Somm wurde von der amerikanischen CompuServe Inc. auch versichert, da die renommierte amerikanische Firma Microsystems in die Inhaltskontrolle der Daten eingeschaltet wurde.

Herr Somm hat die Wirksamkeit der Sperrmanahmen und der Kindersicherungen - vor allem in der Zeit zwischen der Presseerklrung der CompuServe Inc. am 13. Februar 1996 und der Pressekonferenz der deutschen Firma CompuServe GmbH am 16. Februar 1996 - auch persnlich berprft und besttigt gefunden. Wenn spter - vermutlich aufgrund technischer Unzulnglichkeiten in der hochkomplexen Umgebung von ca. 30 vernetzten Newsservern der amerikanischen CompuServe Inc. - die einzelnen Newsgroups gelegentlich wieder auftauchten, so beruhte dies allenfalls auf Fahrlssigkeit der amerikanischen Mitarbeiter der CompuServe Inc. und war Herrn Somm nicht bekannt. Herr Somm hatte keinen Anla, die Sperrungen bei der amerikanischen CompuServe Inc. zu reklamieren oder - erst recht - mit Millionenaufwand ein deutsches Parallelrechenzentrum zu planen, in dem die Identifizierung der rechtswidrigen Inhalte im brigen zu den gleichen Problemen wie in dem amerikanischen Rechenzentrum gefhrt htte. Dezentrale nationale Rechenzentren htten die Kontrolle des Informationsangebots der CompuServe Inc. wahrscheinlich sogar noch sehr viel schwieriger gemacht!

Entsprechendes gilt fr die in der Anklageschrift erwhnten Spiele aus den proprietren Foren der CompuServe Inc.: Herr Somm erhielt weder von den Ermittlungsbehrden noch von anderer Seite einen konkreten berprfbaren Hinweis auf strafbare Spiele in den Foren der amerikanischen CompuServe Inc. Er konnte die zehntausende von Spielen auch nicht selbst berprfen. Kenntnis (d.h. dolus directus) im Sinne des von der Anklage herangezogenen 5 Abs. 2 TDG hatte er nicht. Ein Fahrlssigkeitsvorwurf im Sinne von 21 Abs. 3 GjS steht aufgrund der Sperrwirkung von 5 TDG nicht zur Diskussion: Nach der klaren Intention des Gesetzgebers gilt der Filter des 5 TDG auch fr die Fahrlssigkeitsnormen des GjS.

Zusammengefat lt sich deswegen zum Vorsatz des Angeklagten feststellen: Die Ermittlungsbehrden haben es versumt, Herrn Somm Kenntnis von strafbaren Inhalten auf den Rechnern der amerikanischen CompuServe Inc. zu geben. Wenn die Ermittlungsbehrden die strafbaren Inhalte dem Angeklagten mitgeteilt htten, so wren diese Inhalte - ebenso wie die ihm zur Kenntnis gebrachten fnf kinderpornographischen Newsgroups und die 282 sonstigen Newsgroups - den Verantwortlichen amerikanischen CompuServe Inc. bermittelt worden und von diesen - soweit sie strafbare Inhalte enthielten - gesperrt worden. Wegen der fehlenden Information durch die Ermittlungsbehrden fehlt es darber hinaus sowohl an einer Kenntnis des Angeklagten als auch an einer entsprechenden Kenntnis von Mitarbeitern der amerikanischen CompuServe Inc. Da deswegen und aus anderen Grnden auch eine Beihilfe oder Mittterschaft des Angeklagten im Hinblick auf vorstzliche rechtswidrige Straftaten von Mitarbeitern der amerikanischen CompuServe Inc. ausscheidet, habe ich in der einleitenden Stellungnahme fr den Angeklagten bereits ausfhrlich begrndet.

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4. Sonstige Grnde

Angesichts der berzeugenden Begrndung der Staatsanwaltschaft fr den Freispruch des Angeklagten braucht auf weitere Grnde fr die Unschuld von Herrn Somm nicht eingegangen zu werden. Ich deute deswegen hier nur noch kurz an: Da die in der Anklage genannten Newsgroups mit der Zugangssoftware der CompuServe Inc. nicht abrufbar waren, fehlt es nach Auffassung der Verteidigung auch an einem Zugnglichmachen oder Verbreiten der Inhalte. Nur am Rande sei auch erwhnt, da die Verteidigung hier nicht danach gefragt hat, ob den von der Polizei vorgelegten Bildern ein tatschliches Geschehen zugrundeliegt. Dies wre bis zu der gesetzlichen Neuregelung von 184 StGB durch das Informations- und Kommunikationsdienstegesetz im vergangenen Jahr jedoch erforderlich, das inzwischen auch ein wirklichkeitsnahes Geschehen ausreichen lt. Ein entsprechender Echtheitsnachweis htte angesichts der heutigen Mglichkeiten der Bildmanipulation kaum erbracht werden knnen. Die Verteidigung hat diese Probleme nicht angesprochen. Ihr Ziel war es nicht, einen Freispruch von Herrn Somm mit Nachweisschwierigkeiten zu begrnden. Im Interesse der Rehabilitation von Herrn Somm und der von ihm vertretenen Firma geht es ihr vielmehr um die Klarstellung, da der Angeklagte fr die hier vorgelegten Inhalte nicht verantwortlich war, da er sie objektiv nicht verhindern konnte und da er subjektiv von den Zugriffsmglichkeiten auf strafbare Inhalte nichts wute.

Die Verteidigung bittet darum, dies in dem freisprechenden Urteil klar festzustellen: im Interesse von Herrn Somm und seiner Familie, im Interesse der Rechtssicherheit und um zu verhindern, da in der Zukunft ein anderer unbescholtener Access-Provider den gleichen unberechtigten Vorwrfen ausgesetzt wird, wie Herr Somm.

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III. Ausblick

Abschlieend sei noch auf folgendes hingewiesen: Der von der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung beantragte Freispruch von Herrn Somm ist keine Niederlage im Kampf gegen Kinderpornographie in Computernetzen. Im Gegenteil: Ein klares freisprechendes Urteil wird es erst ermglichen, da in der Zukunft statt billiger Alibilsungen nunmehr wirksame Manahmen zur Verfolgung strafbarer Inhalte im Internet ergriffen werden. Dies heit, da im Zusammenwirken von Ermittlungsbehrden und Industrie die Urheber strafbarer Inhalte zurckverfolgt werden mssen und da darber hinaus ein internationales System von Hotlines aufgebaut wird, durch das die Service-Provider Kenntnis von strafbaren Inhalten erhalten und diese dadurch lschen knnen. Der Angeklagte und die Verteidigung untersttzen ein derartiges Vorgehen. Nicht die Geheimhaltung strafbarer Inhalte und die Strafverfolgung der Access-Provider mu in der Zukunft das Motto sein, sondern die internationale Verfolgung der Urheber und die Mitteilung strafbarer Inhalte an die speichernden Service-Provider zum Zwecke der Lschung. Mit dem vorliegenden Strafverfahren gegen Herrn Somm wurde zweieinhalb Jahre lang ein falscher Ansatz verfolgt und Zeit vergeudet. Das freisprechende Urteil gegen Herrn Somm kann hier eine Wende einleiten. Dem Amtsgericht Mnchen und seiner Urteilsbegrndung kommt dabei eine entscheidende Rolle zu: Die Notwendigkeit einer neuen Strategie zur Verfolgung von strafbaren Inhalten in Computernetzen wird dabei um so deutlicher werden, je klarer das Amtsgericht Mnchen in seinem Urteil feststellt, da Access-Provider wie die CompuServe GmbH zur Verhinderung strafbarer Inhalte gem. 5 Abs. 3 TDG nicht verpflichtet und auch nicht in der Lage sind.

In meiner Stellungnahme fr den Angeklagten Felix Somm zum Beginn der Hauptverhandlung habe ich darauf hingewiesen, da der amerikanische Supreme Court in seiner vielbeachteten Entscheidung des Jahres 1997 zur Verfassungswidrigkeit des amerikanischen Communication Decency Act feststellte, da das Interesse an einem freien Meinungsaustausch in einer demokratischen Gesellschaft bei weitem die theoretischen Vorteile einer mglichen Zensur des Internet bersteigt. Fr Deutschland habe ich ein hnliches Urteil gewnscht. Die Ergebnisse der Hauptverhandlung machen ein solches Urteil nunmehr mglich. Sie, hohes Gericht, haben - nachdem sie dieses Hauptverfahren erffnet haben - nunmehr eine Verantwortung zu erfllen: Sie haben es mit Ihrer Urteilsbegrndung in der Hand, da der "Fall Felix Somm" sich so leicht nicht wiederholen kann, da Rechtssicherheit fr die Informationsindustrie entsteht, da internationale Provider in Deutschland wieder investieren und da wirksame Strategien zur Bekmpfung strafbarer Inhalte in Computernetzen entwickelt werden.

Die Verteidigung bittet nicht nur um einen Freispruch fr Herrn Somm, sondern auch um ein klares richtungsweisendes Urteil - im Interesse von Herrn Somm, im Interesse des Internet, aber auch im Interesse unserer Kinder, die ein besseres Schutzkonzept verdient haben als diese Anklage es verlangt!

Schlupldoyer von Prof. Dr. Ulrich Sieber fr den Angeklagten Felix Somm

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