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Zusendung unverlangter Massen-eMails

Rechtslage und Rechtsschutzmglichkeiten
von Dr. Patrick Mayer


bersicht:
LG Berlin: Verletzung des allgemeinen Persnlichkeitsrechts ( 823 BGB) durch Zusendung unverlangter Werbe-Emails

LG Traunstein: Beschlsse zur Wettbewerbswidrigkeit unverlangter Werbe-Emails

BGHZ 103, 203: Wettbewerbswidrige Belstigung durch Werbung im Btx-Mitteilungsdienst:

Sachverhalt
Grnde
Anmerkung


Weitere Informationen zum Thema:
Staatsvertrag ber Mediendienste (MStV)

Amtliche Begrndung zum MStV

Informations- und Kommunikationsdienste- Gesetz (IuKDG)

Amtliche Begrndung zum IuKDG


Zusendung unverlangter Massen-eMails

Die Rechtsprechung, die unverlangte Werbe-Emails als Eingriff in die Privatsphre bzw. in den Gewerbebetrieb ablehnt, beginnt sich zu festigen. Erfreulich: es gibt keine Entscheidung, die die Zulssigkeit von UCE (Unsolicited Commercial Email) bejaht. Eine Anmerkung von Stefan Ernst, die eine bersicht ber die bisherige Literatur zu der Frage enthlt, findet sich in NJW-CoR 1997, 494.

Verletzung von Persnlichkeitsrechten

Das Landgericht Berlin hat in zwei Beschlssen die Zusendung unverlangter Email an Selbstndige und Privatpersonen als Verletzung allgemeiner Persnlichkeitsrechte ( 823 BGB) angesehen. Auch Selbstndigen und Einzelpersonen wird mit dem Unterlassungsanspruch nach 1004 BGB eine Mglichkeit gegeben, sich gegen unverlangte Werbesendungen zur Wehr zu setzen.

Eine hnliche Auffassung vertritt das LG Augsburg in seinem Beschlu vom 19. Oktober 1998, 2 O 34416/98 (Fundstelle: NJW-CoR 1999, 52 [nur Tenor]).

Der Text der Beschlsse des LG Berlin ist bei der Akademie Online-Recht zu finden:

Ebenso entscheidet das AG Brakel, Urteil vom 11. 2. 1998, Az. 7 C 748/97 (rechtskrftig), MMR 1998, 492. Das Amtsgericht weist darauf hin, da im Gegensatz zu Postwurfsendungen ein Einverstndnis mit Werbesendungen nicht angenommen werden kann, weil eine Mailbox nicht mit einer Erklrung ber die Ablehnung von Werbesendungen versehen werden kann. Auch die Eintragung der Email-Adresse in ein Mail-Verzeichnis stelle kein Einverstndnis mit unverlangten Werbebotschaften dar.

Wettbewerbswidrigkeit

In einer einstweiligen Verfgung hat das Landgericht Traunstein im Oktober 1997 einer Internet-Agentur verboten, an private Kunden unverlangte Werbesendungen zu schicken, in denen auf ihre Dienstleistungen hingewiesen wird. Der Beschlu erfolgte weitgehend ohne Begrndung.

In einem weiteren Beschlu hinsichtlich der von der Antragsgegnerin beantragten Prozekostenhilfe hat das Landgericht seine Rechtsauffassung zu unerlaubten Werbe-Emails dargestellt (Az: 2HK O 3755/97, vom 18. Dezember 1997). Darin argumentiert es weitgehend hnlich wie meine Anmerkung zu BGHZ 103, 203.

Wettbewerbswidrige Belstigung durch Werbung im Btx-Mitteilungsdienst

Btx-Werbung I, BGHZ 103, 203 = NJW 1988, 1670

Zur Frage einer wettbewerbswidrigen Belstigung durch Werbung im Btx-Mitteilungsdienst.
BGH, Urteil vom 3. 2. 1988 - I ZR 222/85

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der BGH (Bundesgerichtshof) hat in der Revision ein Urteil aufgehoben, das die Zusendung von Werbe-Mitteilungen im "Mitteilungsdienst" des Btx-Systems fr in Berlin zulssig erklrt hatte. Damals gab es in Berlin keine Tarifeinheiten im Ortsbereich, man konnte also beliebig lang ohne zustzliche Kosten telefonieren. Das Berliner Kammergericht (KG) hatte sich darauf berufen, die Zahl der Werbe-Mitteilungen sei nicht sehr hoch, ein manuelles Aussortieren und Lschen der Mitteilungen daher noch zumutbar. Eine Vergleichbarkeit zu unerwnschter Telefon- bzw. Telexwerbung sei nicht gegeben, da die Mitteilungen nicht in vergleichbarem Ma in die Privatsphre eindrangen (Telefon) bzw. den Empfnger mit unzumutbaren Kosten belasteten (Telex). Eine derart hohe Verbreitung, da die Funktion des Mitteilungssystems beim Empfnger bedroht sei, sei derzeit nicht gegeben. Auerdem sei zu bercksichtigen, da die Teilnehmer am Btx-Dienst in der Regel ein Interesse gerade an wirtschaftlich geprgten Informationen htten und sich bei Desinteresse vom Mitteilungsdienst abmelden knnten.

Der BGH verwarf diese Argumentation.


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Aus den Grnden:

(...)

II.


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III. Das Berufungsurteil kann somit auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht, an das der Rechtsstreit daher zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch ber die Revisionskosten - zurckzuverweisen ist, wird zunchst Feststellungen darber zu treffen haben, welchen Umfang die Werbung im Btx-Mitteilungsdienst bereits erreicht hat, wobei nicht allein auf den Durchschnittswert abzustellen, sondern auch zu prfen sein wird, welches Ausma die Zahl der Werbemitteilungen bei solchen Teilnehmern am Btx-Mitteilungsdienst erreicht, die aus verschiedenen denkbaren Grnden als Werbeadressaten von besonderem Interesse fr die werbende Wirtschaft sein knnen. Auf der Grundlage dieser Feststellungen wird das Berufungsgericht dann unter Bercksichtigung der wahrscheinlichen Weiterentwicklung und namentlich des unter II., 2 d) zur Nachahmungsgefahr Ausgefhrten zu beurteilen haben, welches Ausma die zeitliche Inanspruchnahme von Teilnehmern am Btx-Mitteilungsdienst durch Werbung in diesem Dienst erreichen kann und ob in dieser Inanspruchnahme eine unzumutbare Belstigung zu sehen ist. Unter Umstnden, nmlich, wenn sich die Unzumutbarkeit bzw. das Gegenteil nicht schon aufgrund der objektiven Gegebenheiten, insbesondere aus dem Ausma des Zeitaufwands, feststellen lt, wird das Berufungsgericht weitere Feststellungen darber zu treffen haben, ob und bis zu welcher Grenze Teilnehmer am Btx-Mitteilungsdienst bereit sind, Werbung in diesem Dienst und ihre zustzliche zeitliche Inanspruchnahme durch letztere hinzunehmen, ohne sich belstigt zu fhlen. Hierfr knnte unter Umstnden auch die Frage bedeutsam werden, ob die Mglichkeit besteht, Werbung bereits im Inhaltsverzeichnis als solche eindeutig zu kennzeichnen, und - bejahendenfalls - ob bei Vornahme einer solchen Kennzeichnung der Aufwand an Zeit und Mhe auf Seiten des Empfngers und/oder dessen Einstellung zur Werbung in einer Weise gendert wird, die die Zulassung wenigstens einer dergestalt gekennzeichneten Werbung wettbewerbsrechtlich unbedenklich erscheinen liee. Klarzustellen bleibt schlielich, da alle gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts geuerten Bedenken hinfllig wren, wenn zwischenzeitlich - anders als bisher - die Mglichkeit geschaffen wre, Werbemitteilungen im Btx-Mitteilungsdienst schon anhand des Inhaltsverzeichnisses nicht nur ohne weiteres als solche zu identifizieren, sondern auch ebenso ohne weiteres - das heit ohne vorherigen Abruf und Bildaufbau auf dem Bildschirm - zu lschen.


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Anmerkung:

Der BGH hat die bereits in der Einfhrungsphase des Btx-Systems vom Kammergericht Berlin getroffene Entscheidung zu Recht und mit inhaltlich weitsichtiger Begrndung aufgehoben. Er hat die technischen Besonderheiten des Systems Bildschirmtext treffend gewrdigt. Die Entscheidung ist auf UCE (Unsolicited Commercial E-mail, unverlangte Werbemitteilungen) im Internet allerdings nicht in allen Einzelheiten bertragbar, da das heutige E-Mail-System kein geschlossenes technisches System mit einem zentralen Betreiber darstellt, der in der Lage ist, bestimmte Verhaltensanforderungen tatschlich wirksam durchzusetzen.

Im Vordergrund mu weiterhin die vom BGH getroffene Feststellung stehen, da jede Werbeform unzulssig und wettbewerbswidrig ist, "die den Keim zu einem immer weiteren Umsichgreifen in sich trgt und damit erst zu einer untragbaren Belstigung und zu einer Verwilderung der Wettbewerbssitten fhrt" (oben unter e)). Dabei sind Rechtsprechung und Gesetzgebung zu einer Prognose aufgerufen, welche technischen Systeme dafr einerseits anfllig und andererseits bei Mibrauch besonders "gefhrdet" im Sinne einer eintretenden Dysfunktionalitt des gesamten Systems sind.

Die geschilderte Auffassung ("Keim-Theorie") hat der BGH in einem neueren Urteil zur Telefax-Werbung erneut besttigt (NJW 1996, S. 660, 661). Darin hat der BGH als Argumente fr die Wettbewerbswidrigkeit von unverlangten Telefaxen insbesondere auch den Arbeits- und Kostenaufwand fr die Prfung eingegangener Faxe genannt und darauf hingewiesen, da bei einem automatisierten Fax-Versand und einer entsprechenden Zunahme der Gesamtzahl von Werbesendungen per Fax eine unzulssige Belstigung zu befrchten sei. Telefax-Werbung knne daher grundstzlich nicht gebilligt werden. Sie sei ausnahmsweise nur dann zulssig, wenn der Angeschriebene ausdrcklich oder konkludent einverstanden sei oder sein Einverstndnis vom Absender anhand konkreter Umstnde vermutet werden knne. Dafr genge es jedoch nicht, die eigene Fax-Nummer - auch im Rahmen eigener Werbung - bekannt zu geben, weil daraus noch keinerlei Interesse an Werbesendungen des Versenders entnommen werden knne. Verlangt werden mu wohl vielmehr eine bereits bestehende Geschftsbeziehung, bei der aus irgendwelchen konkreten Umstnden entnommen werden kann, da Interesse an weiteren "geschftlichen Informationen" besteht.

Hinsichtlich der Mibrauchsanflligkeit ist das Internet-gesttzte E-Mail-System aus verschiedenen Grnden mindestens ebenso wie das Telefax-System betroffen: Der Massenversand von E-Mail ist technisch besonders einfach und ausserdem uerst kostengnstig. Die Mibrauchsgefahr ist daher besonders hoch. Zum anderen gefhrdet der massenhafte Versand von E-Mail in vielerlei Hinsicht die Funktionalitt des gesamten E-Mail-Systems. Der Versand sorgt fr ein hohes, weitgehend unntzes Verkehrsaufkommen; er verursacht unkontrollierbare "Immunreaktionen" des Netzes und er sorgt bei weiterer Verbreitung fr ein Zusammenbrechen der Nutzbarkeit des E-Mail-Systems beim Empfnger, da voll wirksame Filtermechanismen der Natur der Sache nach nicht vorstellbar sind. Schlielich sorgt er fr eine erhebliche Belstigung der Empfnger, die zu einem Aussortieren der Werbung gezwungen werden und dafr auch noch die Kosten (UUCP-Verbindung, Volumenkosten) zu tragen haben.

Problematisch an der BGH-Entscheidung ist bezogen auf dezentrale E-Mail-Systeme (im Gegensatz zum Btx-System) vor allem deren letzter Absatz, in der es der Sache nach darum geht, ob Werbemitteilungen dadurch zulssig sein bzw. werden knnten, da die (damalige) Deutsche Bundespost ein System einfhrt, nach dem a) Werbemitteilungen im Betreff mit einem "W" gekennzeichnet sind und b) noch vor der (zeitraubenden) bertragung zur Anzeige auf dem Bildschirm (= download) gelscht werden knnen. Diese technischen Modalitten sind dann in der Folgezeit tatschlich eingefhrt worden, so da der Klger des beschriebenen Verfahrens (Verbraucherschutzverein) in der Folge die Klage zurckzunehmen versuchte. Dazu hat sich der BGH in einem weiteren Urteil geussert (Btx-Werbung II, NJW 1992, 2235), das aber rein prozerechtlich argumentiert und fr die Frage von UCE unergiebig ist.

Aus den oben dargelegten Grnden bleibt UCE - Massen-E-Mail-Werbung - dennoch unzulssig und wettbewerbswidrig (so jetzt auch das LG Traunstein, 2 HK O 3755/97). Vor allem sprechen erhebliche Grnde dafr, da es im Internet eine ertrgliche Lsung fr die rechtzeitige Identifizierung und Lschung unverlangter Mails nicht geben kann. Ein "W" scheidet ebenso aus wie andere Krzel, die verwendet werden (z. B. fr "bulk-mail" [Massendrucksache]). Angesichts der weltweiten Verbreitung von E-Mail und der uneinheitlichen Sprachgebruche gibt es hierfr keine vertretbare Lsung, mangels zentralem Anbieter auch niemanden, der eine einheitliche Lsung vorschlagen, geschweige denn durchsetzen knnte. Schlielich ist jedes Argumentieren mit solchen halbtechnischen Mglichkeiten, die Auswahlverantwortung der Nutzerin anzulasten, verkrzt und verfehlt. Da UCE jetzt schon wettbewerbswidrig ist und dennoch eingesetzt wird und da nach den Ausfhrungen des BGH der Reiz fr den Werbetreibenden gerade darin besteht, da der Empfnger nicht vorher merkt, da keine individuelle Mail vorliegt, laufen Kennzeichnungssysteme nach der Lebenserfahrung vllig leer. Die Mibrauchsgefahr besteht also weiterhin; sie ist geradezu systemimmanent.

Stand: 31. 12. 1997
Updates: 15. 5. 1998; 24. 10. 1998


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Patrick Mayer, 1998 / Alle Rechte vorbehalten / Stand: 1998-10-24 / URL: http://www.artikel5.de/artikel/bgh-uce.html