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Die EU oder: Viele Köche - dicker Brei.

Von Ulrich Werner

(Dieser Beitrag wurde von Uli Werner für die Netzinitiative Freedom For Links verfasst und wird mit Gestattung des Autors nunmehr hier veröffentlicht)

Das entscheidende Organ in der Europäischen Union für politische Fragen und zwischenstaatliche Kompromisse ist der Rat der EU (früher: Ministerrat). Der aber entscheidet nicht - schlieŸlich gibt´s da noch den Europäischen Rat, der sich aus den Staats- und Regierungschefs zusammensetzt. Der aber darf nicht entscheiden - schlieŸlich ist er kein Organ der EU.

Das macht die Wege der EU undurchschaubar. Dieser Artikel gibt in kurzer Form einen œberblick über die wichtigsten Organe, die damit verbundene begriffliche Verwirrung und die grundlegenden Entscheidungsabläufe in der Europäischen Union.

Es hilft beim Verständnis sehr, wenn man die EU nicht als Institution, sondern als ProzeŸ betrachtet - einen ProzeŸ, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Schon der Begriff "Union" ist nicht eindeutig definiert, führt aber vielleicht gerade deshalb zur "Europäischen Union" als Kernbegriff der öffentlichen Diskussion um die Gestaltung Europas. Das deutsche Bundesverfassungsgericht bezeichnete die Struktur der EU als "Staatenverbund" und brachte damit einen neuen Begriff ins Spiel, dessen Erklärungsgehalt und Reichweite noch nicht feststehen. Zumindest die bisher ziemlich griffig definierten Bezeichnungen "Staatenbund" und "Bundesstaat" sind damit jedenfalls ausgeschlossen.

Der ProzeŸ der Harmonisierung ist alles andere als einfach; schon von daher konzentrierte sich im Laufe der Zeit alles, was an Entscheidungen wichtig und von hoher Tragweite war, auf die Regierungs- und Staatschefs der Mitgliedsstaaten - die dort ausgehandelten Kompromisse haben regelmäŸig "Kuhhandel-Qualitäten", weil sie sonst nicht zustande kommen könnten; zuviele Einzelinteressen sind unter einen Hut zu bringen.

Viele MiŸverständnisse entstehen dadurch, daŸ es recht ähnlich klingende Institutionen gibt: den Europäischen Rat (früher: Ministerrat), den Rat der Europäischen Union, aber auch den Europarat (gehört nicht zur EU), die alle verschiedene Aufgaben und Zusammensetzungen haben und nicht etwa verschiedene Bezeichnungen für dasselbe Organ sind. Daneben spielen natürlich auch das Europäische Parlament und die EU-Kommission eine Rolle im europäischen Nebel.

Vorab - die Organsationsstrukturen sind noch lange nicht an dem Punkt, an dem die für die Bürger in Europa notwendige Transparenz erreicht ist. Um die europäische Einigung überhaupt angehen zu können, hat man sich nach dem zweiten Weltkrieg auf den Bereich konzentriert, in dem alle europäischen Staaten am leichtesten zu motivieren waren, nämlich den Wirtschaftsbereich. Entstanden ist ein Konglomerat nationaler Partikularinteressen in einem sehr komplexen Umfeld - was deutlich an den Arbeitsbereichen und Kompetenzen der einzelnen Mitspieler zu erkennen ist.

Grundsätzlich basiert die europäische Organisation auf einer doppelten Legitimation; auf der einen Seite sind die Regierungen vertreten, die in ihren Nationalstaaten nach den jeweils geltenden Verfahren gewählt wurden und die nationalen Interessen vertreten. Auf der anderen Seite gibt es das Europäische Parlament, dessen Vertreter direkt gewählt werden und die die Interessen ihrer eigenen Wähler vertreten.

Das Europäische Parlament

Das Europäische Parlament hatte zunächst lediglich Kontrollfunktion gegenüber der EU-Kommission sowie Beratungsfunktion gegenüber dem Rat der Europäischen Union. Diese Befugnisse sind zwar inzwischen erweitert worden; von einer den nationalen Parlamenten vergleichbaren Stellung ist das EU-Parlament aber noch sehr weit entfernt.

Wichtigster Existenzgrund des EU-Parlamentes bleibt die demokratische Legitimation durch direkte Wahl der Bürger der Europäischen Union. Wichtigstes Problem bleibt, daŸ es in der EU keine EU-Regierung gibt, die vom Parlament eingesetzt (und abgesetzt) werden könnte. Daher erklären sich viele MiŸverständnisse über die Rolle des EU-Parlaments, das häufig ungerechtfertigt mit den nationalen Parlamenten gleichgesetzt und an deren Funktionalität gemessen wird.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil von 1993 zum Maastrichter Vertrag über die Gründung der Europäische Union festgestellt, daþ die demokratische Legitimation zum damaligen Zeitpunkt (und viel hat sich bis heute nicht geändert) durch die Rückkopplung des Handelns europäischer Organe an die nationalen Parlamente erfolge; die Vermittlung demokratischer Legitimation durch das von den Bürgern der Mitgliedstaaten gewählte Parlament tritt lediglich ergänzend hinzu.

Will man die europäischen Organe in eine Rangfolge hinsichtlich ihrer Wirkung bringen, wird häufig mit der Versammlung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten begonnen, dem Europäischen Rat.

Der Europäische Rat

Das Problem ist allerdings, daŸ rechtlich gesehen der Europäische Rat gar kein Organ der Europäischen Union ist; er stützt sich lediglich auf die Regierungsvereinbarungen der Gipfelkonferenz von Paris im Jahr 1974. GemäŸ Art. D des EU-Vertrages "gibt der Europäische Rat der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen fest" nebst einigen anderen ratgebenden Funktionen. Das sich dieser Kreis der Ratgeber jedoch aus den Staats- und Regierungschefs zusammensetzt, ist sein EinfluŸ entsprechend hoch.

Zunächst gedacht als Initiator allgemeiner Leitlinien stellte sich aber schon bald heraus, daŸ auch in Europa der Teufel im Detail steckt. So besteht die vorwiegende Aufgabe des Europäischen Rates heute im Schnüren von Verhandlungspaketen; nur die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer sind in der Lage, die verschiedenen nationalen Interessen bereichsübergreifend so zu verrechnen, daŸ ein übereinstimmungsfähiges Verhandlungspaket entstehen kann.

Auf der anderen Seite bedeutet ein so gefundener KompromiŸ für die eigentlich dafür vorgesehenen Organe der EU, daŸ diese zumindest in den Themenbereichen, mit denen sich der Europäische Rat selber beschäftigte, zu Teilnehmern eines formalen Ratifizierungsverfahrens degradiert wurden.

Der Rat der Europäischen Union

hieŸ bis zum EU-Vertrag von 1993 noch Ministerrat, was über seine Zusammensetzung Auskunft gibt. Er ist, verglichen mit dem klassischen föderalen System, die höhere Ebene konstituierender Einheiten und setzt sich aus je einem Vertreter der Mitgliedsstaaten im Ministerrang zusammen.

Schon nach dem Erreichen des ersten wichtigen Zieles, des gemeinsamen Binnenmarktes, waren die Ratsmitglieder nicht in der Lage, sich auf gemeinsame nächste Ziele zu einigen; der selbstauferlegte Zwang zu einstimmigen Entscheidungen führte zum praktischen K.O., da nicht alle Mitglieder unter einen Hut zu bringen waren. Als dann noch der Europäische Rat als Treffen der Staats- und Regierungschefs eingerichtet wurde, um die unregelmäþŸigen Gipfeltreffen zu institutionalisieren, wurde der Rat der EU noch mehr zu einer Versammlung einzelner Diskussionsrunden, weil wichtige Entscheidungen automatischen den Regierungschefs überlassen wurden.

Die Europäische Kommission

umfaŸt das Kollegium der 20 Kommissare und den ihnen unterstellten komplexen Verwaltungsapparat der Europäischen Union mit Sitz in Brüssel. Hier arbeiten in 24 sog. Generaldirektionen rund 15.500 Menschen, davon etwa 10 % für den Sprachdienst.

Der Europarat

Um die begriffliche Verwirrung komplett zu machen, muŸ hier auch noch der Europarat erwähnt werden, der eigentlich nichts mit der Europäischen Union zu tun hat. Er beschäftigt sich mit Menschenrechten, Sozialem, Bildung, Kultur, Sport, Jugend, Gesundheit, Umwelt, Denkmalschutz, Kommunalem, Regionalem, Rechtsfragen und Massenmedien.

Der Europarat setzt sich aus den EU-Staaten, den EFTA-Staaten sowie Albanien, Andorra, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Malta, Moldawien, Polen, Rumänien, San Marino, Slowakische Republik, Slowenien, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn und Zypern zusammen.

Seine Organe sind das Ministerkomitee (AuŸenminister oder deren Vertreter) als zwischenstaatliches Exekutivorgan auf Regierungsebene sowie die Parlamentarische Versammlung (Parlamentarier-Delegationen der Mitgliedstaaten) als beratendes Organ ohne Gesetzgebungsbefugnisse.

Die wesentlichen Einrichtungen des Europarates sind die Europäische Kommission für Menschenrechte, der Einheitliche Gerichtshof für Menschenrechte, das Europäische Jugendzentrum und Jugendwerk, der KongreŸ der Gemeinden und Regionen sowie der Soziale Entwicklungsfonds.

Fazit

Viele Köche verderben nicht unbedingt den Brei, aber er wird dick und zäh. Hinterher weiŸ keiner mehr, wer dafür und überhaupt wofür verantwortlich ist. Die Komplexität der Aufgabenstellung sowie die aus einzelnen Entscheidungen resultierenden Folgefragen haben einen hochkomplexen Moloch entstehen lassen, der den europäischen Bürgern mangels Transparenz kaum noch zu vermitteln ist. Mag es noch verzeihlich sein, daŸ die Integration und Abstimmung in vielen Bereichen, so auch in Innen- und Justizpolitik der Mitgliedsländer, nur langsam vorangeht, ist die noch viel langsamere Schaffung von Kontroll- und Rechtsprechungsinstitutionen evident.

Die ENFOPOL-Papiere in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien lassen, wie auch die Internetstreife durch das deutsche BKA, nur zu häufig den Eindruck aufkommen, es sollten im ersten Schritt Tatbestände ohne groŸe Diskussion geschaffen werden, die im zweiten Schritt in das Rechtsgefüge der Mitgliedsländer eingebracht werden können.

Ulrich Werner


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