21. Juni 2001
von RA Dr. Patrick Mayer
Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) denkt über eine nderung der bisherigen Nutzerbeteiligung nach. Führende Köpfe meinen, die Einführung neuer Top Level Domains (TLDs) könne ebenso dem Industriekonsens überlassen werden wie die Einführung von weltweiten Schiedsgerichtsverfahren. Auf ihrer Konferenz in Stockholm holte das von ICANN eingesetzte Studienkommittee fuer die Bewertung der ersten weltweiten Online-Wahlen die Meinung der Oeffentlichkeit zur direkten Nutzerbeteiligung ein. Gleichzeitig verdichten sich Anzeichen, dass die breite Vertretung von Nutzerinteressen bei ICANN einen schweren Stand haben wird. FFL-Mitglied Patrick Mayer berichtet von der ICANN-Konferenz, die Anfang Juni in Stockholm stattfand.
ICANN ist eine non-profit-Corporation nach kalifornischem Recht. Nach mehrjaehrigen Diskussionen um die Strukturierung der internationalen Domain-Vergabe wurde ICANN im November 1998 von der US-Regierung in einem Memorandum of Understanding (MOU) [ http://www.icann.org/general/icann-mou-25nov98.htm] damit betraut, den bisher im wesentlichen als One-Man-Show [ http://www.postel.org/jonpostel.html] organisierten Vergabeprozess für TLDs neu zu gestalten.
Top Level Domains sind die Endungen der Domain-Namen im Internet. Die bekannteste und weltweit am weitesten verbreitete TLD ist .com, die gleichzeitig das Musterbeispiel einer "generischen" TLD (gTLD) darstellt. Als "generisch" werden TLDs bezeichnet, die nicht für einen Nationalstaat, sondern für eine bestimmte Nutzungsart vergeben werden und daher keinen "natürlichen" Namen haben. Neben .com zählen zu dieser Kategorie die offenen gTLDs .net und .org, aber auch die nur eingeschränkt zugänglichen .gov (US-Regierungsstellen), .mil (US-Militär), .edu (US-Universitäten und -Bildungseinrichtungen) sowie .int (internationale Vertragsorganisationen) und last not least die für Testzwecke genutzte .arpa (vgl. RfC 1591 [ http://www.rfc-editor.org/rfc/rfc1591.txt]).
ICANNs rechtliche Grundlagen, sozusagen ihre "Verfassungsdokumente" stellen die Grundsatzpapiere der US-Regierung (sog. Green Paper[ http://www.ntia.doc.gov/ntiahome/domainname/dnsdrft.htm] und White Paper[ http://www.ntia.doc.gov/ntiahome/domainname/6_5_98dns.htm]) dar, die zu ihrer Gründung führten, sowie ihre eigentlichen Gründungsdokumente [ http://www.icann.org/general/agreements.htm] (Articles of Incorporation [http://www.icann.org/general/articles.htm] und By-Laws [http://www.icann.org/general/bylaws.htm]). Dadurch, aber nicht zuletzt auch durch den weltweiten Konsens wichtiger Beteiligter ist ICANN verpflichtet,
Um diese Aufgaben zu erfüllen, hat sich ICANN eine inzwischen fast byzantinisch anmutende Struktur [ http://www.icann.org/general/icann-org-chart.htm] aus Vorstand (Board of Directors), hauptamtlichen Mitarbeitern (ICANN-staff), aus Fachgruppen ("constituencies") gebildeten "Unterstützerorganisationen" (Supporting Organisations, SOs), Beiräten und Kommittees gegeben. Hauptaufgabe im Bereich der Domain Names ist die Entscheidung darüber, welche TLDs in das "Rootzone-File" eingetragen werden. Diese Datei wird von den weitaus meisten Domain Name Servern dazu befragt, welche Name Server für eine bestimmte TLD mageblich sind. Wenn also der Domain Name Server eines ISP irgendwo auf der Welt nicht "wei", welche Stelle verbindlich über die Auffindbarkeit einer .de-Domain Auskunft erteilen kann, verweist ihn das Rootzone File an den Name Server der DENIC [ http://www.denic.de], die die .de-Adressen vergibt. Die unter ICANN-Hoheit stehenden zentralen Name Server stellen also die Wurzelinstanz (Root) im gesamten Namensraum des Internets dar. Der für dieses Servernetz wiederum zentrale "Root Server A" wird derzeit unter Kontrolle der US-Regierung von VeriSign [http://www.verisign.com] (Rechtsnachfolgerin von NSI) betrieben, soll aber in die Kontrolle von ICANN übergehen.
Vor einem Jahr führte ICANN die erste weltweite Online-Wahl von fünf Direktoren für ihr Board of Directors durch. Eigentlich sollten neun der neunzehn Direktoren durch eine indirekte Wahl von den "Members at Large" bestimmt werden. Nachdem jedoch Unklarheiten über das Wahlverfahren und die Wahlberechtigung bestanden, wurde im März 2000 in Kairo beschlossen, eine direkte Wahl durchzuführen, diese aber auf fünf Direktorensitze zu begrenzen und dann zunächst Verlauf und Ergebnisse dieses Wahlexperiments auszuwerten. Die At-Large-Wahl führte zu mehr Interesse als erwartet: über 150.000 Nutzer registrierten sich als Wähler. Durch das komplizierte Registrierungs- und Verifizierungsverfahren gelang es aber nur ca. 34.000 WählerInnen, tatsächlich an der Abstimmung teilzunehmen. Für jede Weltregion (Nordamerika, Mittel- und Südamerika, Asien, Afrika und Europa) wurde ein Direktor gewählt. In Europa errang Andy Mueller-Maguhn, der Sprecher des Chaos Computer Club [ http://www.ccc.de], den Direktorenposten. Er ist - mit den anderen At-Large-Direktoren - seit November 2000 Mitglied des Board of Directors.
Die nicht durch direkte Wahlen besetzten Direktorenposten werden übrigens von neun Direktoren eingenommen, die die Supporting Organisations bestimmen. Die SOs sind die drei bedeutsamsten Untergruppierungen von ICANN:
ICANN befindet sich nun inmitten der Evaluierungsphase der ersten weltweiten Wahl. Zu diesem Zweck wurde ein At-Large Study Committee (ALSC [http://www.atlargestudy.org/]) aus neun Persönlichkeiten [http://www.atlargestudy.org/members.shtml] eingesetzt, handverlesen vom ICANN-Board of Directors (noch ohne Beteiligung der direkt gewählten Direktoren). Das ALSC hat die Aufgabe, eine Empfehlung an das Board auszusprechen, ob auch weiterhin direkte Wahlen durchgeführt werden sollen. Wenn ja, sollen Vorschläge zur Verbesserung des bisherigen Verfahrens gemacht werden, wenn nein, sollen andere Formen der Nutzereinbindung erörtert werden. Insgesamt spricht ICANN von einer "clean sheet study", also von einer Studie, die ohne Festlegung auf bestimmte Voraussetzungen und ohne Rücksicht auf bisherige Verfahrensweisen die Möglichkeiten der Nutzerbeteiligung prüfen, erörtern und die weitere Vorgehensweise empfehlen soll.
Der Vorsitzende des ALSC, der frühere schwedische Ministerpräsident Carl Bildt, äuerte sich am Rande der ICANN-Sitzung jedoch ebenso skeptisch über den Sinn weltweiter Online-Wahlen und direkter Nutzer-Repräsentanz wie Vint Cerf. Cerf betont immer wieder, auch die internationale Standardisierung von Telekommunikationsprotokollen in der International Telecommunicatios Union (ITU) [http://www.itu.int/home/index.html] und anderen Gremien sei nicht direkt demokratisch kontrolliert, ebensowenig wie das Einwohnermeldeamt oder die Kfz-Stelle eines beliebigen Nationalstaates. Darüber hinaus bestünden genügend Möglichkeiten, über die SO's auch die Interessen einzelner Nutzer in die ICANN-Diskussion und ihre Entscheidungen einzubringen.
Wir meinen: Nutzerbeteiligung ist ein Wert an sich. Die Repräsentanz der Nutzerinteressen ist eine "raison d'être", eine der Grundvoraussetzungen für die Existenz von ICANN. Die Nutzerbeteiligung wurde bereits in den ersten Gründungskonzepten der US-Regierung gefordert.
Je indirekter die Nutzerrepräsentanz, desto gröer ist die Gefahr einer Instrumentalisierung der Nutzervertretung für andere Interessen. Die Möglichkeit der direkten Einflussnahme und Interaktion ist das hervorstechende Merkmal des Internets und sollte gerade in der Selbstverwaltung seiner Ressourcen genutzt werden.
Aber auch die konkreten Entscheidungen von ICANN zeigen, dass direkte Beteiligung und Kontrolle vorteilhaft ist. Die von ICANN verabschiedete Uniform Domain-Name Dispute Resolution Policy (UDRP) [http://www.icann.org/udrp/udrp.htm] wirft gerade für individuelle NutzerInnen Probleme auf. Auch die Entscheidung zur Einführung von neuen TLDs (die noch ohne die damals bereits gewählten At-Large-Direktoren getroffen wurde) erfolgte mehr oder weniger willkürlich.
ICANN benötigt als Institution, die gleichzeitig Wettbewerb in das Domain Name System einführen und die Stabilität des Internets sichern soll, eine Legitimation, die über die Vertretung der Interessen der beteiligten Wirtschaftskreise hinausgeht.
Und schlielich steckt, bei richtiger Organisation, im "User Empowerment" ein gewaltiges Potential an freiwilligem Arbeitseinsatz, das ICANN gewinnbringend nutzen könnte. So wäre es denkbar, durch die Einbindung einer breiten Nutzerbasis wichtige ICANN-Dokumente auch in andere Sprachen als das Englische zu übersetzen. Aber auch die Durchsicht und Kritik der umfangreichen Verträge, die ICANN ihren Partnern auferlegt, könnte durch breite Userbeteiligung erleichtert werden.
Wir vom FFL fordern daher:
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